»Liebe soll ja sowieso nicht stattfinden«

Herder-Institut Leizig 1976 © Archiv Neues Deutschland, Fotograf: Eckstein

Männer, Frauen und die Liebe

Intime Beziehungen stehen für die Migrant*innen nicht auf dem Plan. Dennoch flirten sie, verlieben sich und gehen Partnerschaften ein. Liebesbeziehungen und sexuelle Annäherung von Migrant*innen und Deutschen stoßen auf massive Ablehnung. Weder die Entsendeländer noch die DDR-Gesellschaft akzeptieren sexuelle Selbstbestimmung und binationale Partnerschaften. Schwangeren droht die sofortige erzwungene Rückkehr. Trotzdem werden Kinder gezeugt und auch in der DDR geboren.
Beschreibung: Mai-Phuong Kollath, Nguyen Do Thinh und Pham Thi Hoai erzählen, wie sie sich Liebesbeziehungen nicht verbieten lassen.

Schon in den Herkunftsländern, und erneut nach der der Ankunft begutachten Ärzt*innen der DDR die zukünftigen Vertragsarbeiter*innen. Frauen werden zusätzlich von Gynäkolog*innen untersucht. Mai-Phuong Kollath berichtet von einer demütigenden Erfahrung. Am zweiten Tag nach ihrer Ankunft werden die Frauen aus ihrer Gruppe vom Dolmetscher abgeholt und ohne weitere Erklärung in eine Frauenarztpraxis gebracht. Die meisten sind zum ersten Mal bei einer Gynäkologin.

»Du weißt nicht, wohin mit der Scham

Nicht zum Vergnügen

Auch wenn die vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen direkt nach der Ankunft Verhütungsmitteln bekommen, stehen Liebesbeziehungen viele Hürden im Weg, wie fehlenden Gelegenheiten, sich persönlich kennenzulernen, rassistische Einstellungen, Moralvorstellungen im Herkunftsland, oder fehlende Privaträume. Der Aufenthalt in der DDR dient staatlichen, ökonomischen und politischen Interessen: Student*innen sollen eine gute Ausbildung erhalten, dem Ruf der DDR und dem Aufbau ihres Landes dienen, Vertragsarbeiter*innen stopfen die Lücken in den volkseigenen Betrieben und unterstützen die Wirtschaft ihres Landes, politische Emigrant*innen finden Zuflucht und führen mit dem Exil einen politischen Kampf fort. Liebesbeziehungen, sexuelle Bedürfnisse und Schwangerschaften laufen in dieser Sichtweise den Interessen zu wieder und werden unterdrückt.

„Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ Manifest der Kommunistischen Partei

Volkswirtschaftliche Überlegungen bestimmen das Leben der Migrant*innen und schränken sie in ihrer Entfaltung ein. Auch in den Betrieben sind sie mit stereotypen Geschlechterbildern und Erwartungen konfrontiert, wie ein Bericht der VEB Möbelwerke Eisenberg über die mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen vom 13.7.1982 zeigt:

„Bei den weiblichen Werktätigen war und ist zu verzeichnen, dass der Arbeitswille durchgängig vorhanden ist, aber nur wenig handwerkliches Geschick vorhanden ist was zu Oberflächlichkeiten und Liederlichkeit der Ausführung führt. (…) Auf der anderen Seite zeichnen sich die Mädchen durch eine bessere Arbeitsdisziplin und Arbeitsmoral aus und führen übertragene Aufgaben widerspruchlos und diszipliniert aus.“ (BArch 5)

Am „Tag der Mosambikanischen Frau“

Ein Film des Filmzirkels VEB Braunkohlekombinat Senftenberg (siehe auch „Als Werktätige“) streicht heraus, dass Frauen im Betrieb die gleichen Qualifikationen wie Männer erhalten können. Am „Tag der mosambikanischen Frau“ werden sie besonders geehrt, allerdings ohne die erwarteten Reaktionen zu zeigen. –

Der Film über die erste Gruppe mosambikanischer Vertragsarbeiter*innen wurde 1979-83 durch die Abteilung ausländische Werktätige und dem Filmzirkel VEB Braunhohlenkombinat Senftenberg erstellt.

Kein Besuch nach 22 Uhr

Beziehungen zwischen Migrant*innen und Deutschen sind nicht erwünscht, entstehen aber trotzdem. Schwierig für die Paare ist die Wohnsituation. Sowohl die Studierenden als auch die Vertragsarbeiter*innen sind in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht und haben keine eigenen Zimmer. In der Regel wird der Eingang von Pförtner*innen kontrolliert, die Heimordnung verbietet Besuche nach 22 Uhr.

»Da musste ich was machen!

Ibraimo Alberto und David Macou über die Wege, Freundinnen im Wohnheim übernachten zu lassen

„Asoziale und andere Elemente“

In den Berichten der DDR-Behörden werden deutsche Frauen, die Vertragsarbeitern in den Wohnheimen besuchen und Beziehungen mit ihnen haben, wiederholt als „asozial“ diffamiert.  So schreibt 1981 der Leiter der Abteilung Ausländische Arbeitskräfte in einem Brief an das Ministerium:

„Die Folge ist, dass z.B. Verbote zum Betreten der Unterkünfte nicht wirksam werden, weil keine Kontrolle erfolgt, sich im Wohnheim Minderjährige, Asoziale und andere Elemente aufhalten, die von den Sicherheitsorganen gesucht werden bzw. zur Verbreitung von Geschlechtskrankheiten beitragen. […] Bei dieser Gelegenheit möchte ich Sie darauf hinweisen, dass die Sicherung der Ein- und Auslasskontrolle eine Grundbedingung für den Einsatz ausländischer Werktätiger aller Arbeitskräfteabkommen ist.“  
(BArch 6)

Frauentag im Braunkohlenwerk Welzow, Hoyerswerda 1982, Foto: privat

Ritualisiserte Solidarität

Am 8. März, dem internationalen Frauentag, bekommen die Vertragsarbeiter*innen wie alle Frauen in der DDR Blumen überreicht. Im Fall einer Schwangerschaft endet jedoch die in den Regierungsabkommen proklamierte Gleichstellung.

Abbruch oder Abschiebung

Eine schwangere Vertragsarbeiterin steht in der Regel vor der Alternative eines Schwangerschaftsabbruchs oder der zwangsweisen Rückkehr in das Herkunftsland. Die Begründung dafür ist, dass sie mit der Geburt eines Kindes in der Produktion nicht mehr im gleichen Maße einsatzfähig ist. Die „Instruktion zur Durchsetzung der Ordnung über Aufgaben der Betriebe und örtlichen Staatsorgane im Zusammenhang mit der Schwangerschaft vietnamesischer Frauen, die auf der Grundlage zweiseitiger Regierungsabkommen zeitweilig in Betrieben der DDR arbeiten“ beschreibt, was zu tun ist:

„Weiblichen ausländischen Werktätigen ist rechtzeitig und überzeugend zu erläutern, daß sie den Anforderungen der produktiven Arbeit und gleichzeitigen Qualifizierung nur dann voll gerecht werden können, wenn sie während ihres zeitweiligen Einsatzes in der DDR eine Schwangerschaft vermeiden. Die Betriebe sind in Zusammenarbeit mit den Einrichtungen des Gesundheitswesens und den Leitungskadern des Delegierungslandes verpflichtet, die weiblichen ausländischen Werktätigen über die Möglichkeiten und Bedingungen zur Verhütung oder auch zum Abbruch von Schwangerschaften zu informieren. Sie sind darüber zu unterrichten, daß Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes in der Regel die Beendigung des Arbeitsrechtsverhältnisses und die Rückkehr in die Heimat zur Folge haben.“
(BStU 3)

Doch dort kann eine abgeschobene Schwangere kaum mit Hilfe rechnen. In den Augen der staatlichen Behörden verstösst sie mit der Schwangerschaft gegen den offiziellen Auftrag, sich in der DDR für den Aufbau des Landes zu qualifizieren. Auch vielen Familien ist die unverheiratete, vorzeitig zurückgekehrte Tochter eine Schande: moralisch und gesellschaftlich. Unterstützung ist keineswegs sicher.

„Ich beantrage die sofortige Rückführung.“

Statt ärztlicher Schweigepflicht und vertrauensvoller ärztlicher Behandlung müssen die Schwangeren fürchten, dass Betriebe und Gesundheitsbehörden Hand in Hand arbeiten, um sie rechtzeitig ins Herkunftsland zurückzuschicken. Hier beantragt die behandelnde Frauenärztin selbst auf dem Briefpapier des Betriebes die „sofortige Rückführung“ einer 19-jähringen Mosambikanerin.

BArch DQ 3 / 1417, 1

Irene M. wehrt sich

Irene M. kommt 1981 als Vertragsarbeiterin in das VEB Getränkekombinat Leipzig. Im Juni 1982 meldet der Frauenarzt ihrem Betrieb, dass die 19-jährige in der 18. Woche schwanger ist.

Das Getränkekombinat beantragt umgehend ihre Rückführung nach Mosambik. Der erste Versuch, Irene abzuschieben, scheitert im Flughafen Schönefeld. Sie weigert sich, den Transitraum zu betreten. Weder die Begleiter des Getränkekombinats noch der mosambikanische Vertreter können sie dazu bewegen.

Auf dem Rückweg nach Leipzig, verspricht Irene dem Vertreter der mosambikanischen Botschaft, eine Woche später zurückzufliegen. Zwei Tage später verschwindet Irene aus dem Wohnheim, doch es gibt für sie kein Entkommen aus dem Getränkekombinat. Man findet sie in einem anderen Bereich des Betriebs, im VEB Sachsenbräu. Als sie am 9.7., dem vereinbarten Termin nach Berlin-Schönefeld gebracht werden soll, verletzt sie sich selbst.

Vor der Abholung brachte sie sich eine Schnittverletzung am Bauch bei (relativ geringfügig, weil ihr das Messer rechtzeitig abgenommen wurde).“ (Bericht des Kombinatsdirektors, BArch 7)

Irene M. wehrt sich hartnäckig. Der Kombinatsdirektor schreibt an das übergeordnete Staatssekretariat für Arbeit und Löhne: „Wir bitten Sie, unter Berücksichtigung der Vorgeschichte, gemeinsam mit der moc. Vertretung den weiteren Verfahrensweg zu klären. Mit unsere m Personal kann im Hinblick auf die Verhaltensweise von Irene weder per Bahn noch per PKW ein weiterer Versuch unternommen werden sie zum Flughafen Schönefeld zu bringen.“

Der Brief des Kombinatsdirektors endet mit dieser Bitte. Darunter findet sich der handschriftliche Vermerk: „erl. am 16.7.82 zurück“.  (BArch 7)

Spätere Heirat unerwünscht

Liebesbeziehungen sollen im Ansatz verhindert werden, Schwangerschaften werden konsequent unterbunden, Eheschließungen maximal behindert. Sowohl die Entsendeländer als auch die DDR errichten hohe bürokratische Hürden, um zu verhindern, dass auf die Heirat ein unbefristeter Aufenthalt in der DDR oder die Ausreise eines DDR-Bürgers folgt. Zahlreiche Papiere und schließlich eine Genehmigung der zuständigen Behörden beider Staaten müssen beigebracht werden. In einer wissenschaftlichen Arbeit von 1977 im Stasi-Unterlagen-Archiv heißt es:

„Vorrangig ist die Aufgabe gestellt, durch entsprechende politisch-operative Maßnahmen Eheschließungen (…)  zu verhindern.“ (Mac Con Uldah 2005 b, 63)
In manchen Fällen gelingt es, die notwendigen Unterlagen zur Eheschließung und die Zustimmung von beiden involvierten Staaten zu erhalten. Leichter ist dies bei Paaren mit einem osteuropäischen als mit einem vietnamesischen, mosambikanischen oder angolanischen, Partner möglich. „Es wird deutlich, dass die subsaharischen Arbeiter von staatlichen und gesellschaftlichen Rassismen am meisten betroffen waren.“ (Mac Con Uldah 2005 b, 65)

Auch Paaren mit Kindern wird häufig die Heirat verwehrt. In manchen Fällen drohen die Betroffenen aus Verzweiflung mit Selbsttötung (siehe „Studium und politisches Exil“), um nicht abgeschoben zu werden. Eine DDR-Bürgerin, die in mehreren Briefen an die vietnamesische Botschaft dagegen protestiert, dass sie ihren Freund nicht heiraten darf und von „unmenschlichem Verhalten spricht“, stößt nicht allein auf taube Ohren. Der vietnamesische Vertreter fordert den Konsularbeamten der DDR auf, dafür zu sorgen, dass die Frau solche Äußerungen zukünftig unterlässt. Der Beamte verspricht, die Angelegenheit zu prüfen.

Das scheinbar Unmögliche

 

Mai-Phuong Kollath in der Küche des Stadthafens (zweite von rechts), Rostock 1981, Foto: privat

Mai-Phuong Kollath hat einen deutschen Partner und erwartet ein Kind. Sie steht jedoch vor vielen Schwierigkeiten. Sie muss die Schwangerschaft verheimlichen, um nicht abgeschoben zu werden. Und sie muss – um den Vater ihres Kindes heiraten zu können – die Zustimmung der vietnamesischen Behörden bekommen, die wiederum eine Einwilligung ihrer Eltern verlangen. Diese wiederum wollen dem nicht zustimmen. Erst die Geburt des Kindes stimmt sie um. Damit sind noch immer nicht alle Hürden überwunden.

»Die ganze Zeit diese Angst

Mai-Phuong Kollath über ihre Schwangerschaft und Heirat in der DDR.

Die vietnamesische Regierung verlangt von ihren in die DDR entsandten Bürger*innen, die wegen der Ehe mit einer DDR-Bürger*in nicht planmäßig nach Vietnam zurückkehren, eine „Rückzahlung der Ausbildungskosten“ bis zu 12.000 Mark.

MfS HA_II 29529, S. 112

Die dazu veröffentlichte Erklärung schließt mit folgender Begründung:

„Insgesamt soll der Beschluss mit dazu beitragen, eine beabsichtigte Eheschließung mit DDR-Bürgern gründlich zu überdenken. Erfahrungen besagen, dass die unterschiedliche Mentalität, Moral und Familienauffassung sowie Bindung zur Heimat oft zum Scheitern solcher Ehen führen.“ (BStU 4)

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Ende der Freundschaft

Für viele Migrant*innen endet der Aufenthalt in der DDR vorzeitig und unfreiwillig.