Einen sicheren Aufenthalt haben Migrant*innen auch in der DDR nicht. Studierende müssen das Land verlassen, wenn ihre Leistungen nicht gut genug sind (siehe auch „Studium und politisches Exil“). Chilenische Emigrant*innen werden aus der DDR ausgewiesen, weil sie sich laut eines Stasi-Berichtes „nicht in die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR eingewöhnen konnten“ und – nun benutzt der Bericht nationalsozialistisches Vokabular – es sich „um kriminelle und arbeitsscheue Elemente“ (BStU ZAIG 4097, S.8) handle.
Ausweisungsgründe
Immer wieder müssen mosambikanische Vertragsarbeiter*innen vorzeitig in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Denn das Abkommen mit Mosambik sieht bei in der DDR begangenen Straftaten die Auflösung des Arbeitsvertrages und damit verbunden die vorzeitige Rückkehr vor. Das gilt auch, wenn eine Arbeitsmigrant*in
In den Aktenbeständen sind zahlreiche Rückführungsanträge dokumentiert. Einige Beispiele:
Der mosambikanische Vertragsarbeiter Armando J. ist in der VEB Baumwollspinnerei Mittweida eingesetzt. Seine Abschiebung erfolgt am 5. April 1987. Als Begründung nennt der Betrieb: Er halte Weisungen der Vorgesetzten nicht ein, habe an mehreren Tagen unentschuldigt gefehlt, halte sich nicht an die Heimordnung und „spielt innerhalb der mocambiquanischen Gruppe eine negative Rolle“.
Ana M., ebenfalls aus Mosambik, arbeitet im VEB Oberlausitzer Textilbetriebe. In ihrem Rückführungsantrag heisst es, sie erfülle nicht den Plan, weigere sich, alle Maschinen zu bedienen, arbeite absichtlich langsam und werde ihrer Pflicht laut Regierungsabkommen nicht gerecht. Am 1. November 1987 wird sie abgeschoben.
In den Akten finden sich neben Rückführungsanträgen für schwangere Frauen zahlreiche Beispiele von Menschen, deren Arbeitsfähigkeit aufgrund von langwierigen Krankheiten, Kriegstraumata oder anderen psychischen Beschwerden eingeschränkt ist. Auch sie werden in Herkunftsländer abgeschoben, in denen unter Umständen noch Bürgerkrieg herrscht.
Flug Berlin – Maputo am 20. September 1987
Mit diesem Flug werden mindestens vier Vertragsarbeiter*innen nach Mosambik zurückgeschickt. Es handelt sich um:
Veronika C., VEB Feinspinnerei Erzgebirge, Venusberg und Emilda M., VEB Oberlausitzer Textilbetriebe, weil sie schwanger sind.
Laurinda M., VEB Oberlausitzer Textilbetriebe, hatte sich zwei Mal der Rückführung aufgrund von Schwangerschaft entzogen. Ihr Kind kommt im August 1987 nicht lebensfähig auf die Welt. Der Betrieb beantragt die Rückführung wegen „Disziplinlosigkeit“ und schreibt: „Wir bitten nunmehr dringend um Rückführung, da das Verhalten nicht geduldet werden kann und Auswirkungen auf die Disziplin im Wohnheim hat. Es erscheint uns dringend geboten, dass bei der RF die moc. Vertretung eingeschaltet wird, da wir wieder mit einer Weigerung rechnen müssen.“
Antonio M., VEB Reh-Kinderkleidung Erfurt, ist psychisch erkrankt und soll deshalb zurückgeschickt werden. Der Betrieb schreibt:
„Der behandelnde Arzt setzte uns davon in Kenntnis, dass der moc. WT mit Selbstmord droht wenn er in sein Land zurückgeführt wird. Aus diesem Grund beantragen wir eine Begleitperson nach Mocambique.“ (alle Zitate BArch 9)
»Ich werde nicht akzeptiert als Mensch
Rassistische Beleidigungen und Ablehnung erfahren die Migrant*innen auch im Alltag. Vor allem die Vertragsarbeiter*innen berichten immer wieder von Beschimpfungen bis hin zu Androhung von Gewalt durch DDR Bürger*innen. In ihrer Jahreseinschätzung zur politisch-operativen Lage unter den ausländischen Werktätigen in der DDR notiert die Stasi „Vorkommnisse mit mosambikanischen WT [Werktätigen] im September 1987 belegen, dass diese Gruppe zunehmenden Provokationen durch DDR Bürger ausgesetzt ist.“ (BStU 5)
Nguyen Do Thinh erlebt diskriminierende Äußerungen am Arbeitsplatz, Ibraimo Alberto wird bei Boxkämpfen aus dem Publikum beschimpft und bedroht.
Lohntransfer ist Pflicht
In einigen bilateralen Abkommen wird für die Vertragsarbeiter*innen ein sogenannter Lohntransfer festgelegt. Vietnamesische Arbeiter*innen müssen 15 Prozent ihrer Nettolöhne nach Vietnam transferieren http://(Gruner-Domic 1997, 26), der Betrag wird für den „Wiederaufbau des Landes“ beansprucht. Kubaner*innen und Angolaner*innen müssen 25 Prozent ihrer Löhne für die Herkunftsländer überweisen.
Besonders drastisch trifft das Prinzip des Lohntransfers die Arbeiter*innen aus Mosambik. Ihnen wird lediglich ein Grundeinkommen von 350 Mark zugestanden. Vom darüberhinausgehenden Nettolohn werden ihnen zunächst 25 Prozent und ab 1986 60 Prozent abgezogen. Ihnen wird versprochen, dass die transferierten Summen in Mosambik für Sie auf einem Konto angelegt werden. Nach ihrer Rückkehr sollen sie sich damit eine Existenz aufbauen können.
So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben.Losung des Zentralkomitees der SED zum 1. Mai 1989
Diese zwangsweisen Abzüge werden von den Arbeiter*innen nicht einfach hingenommen sondern führen immer wieder zu Konflikten und Streiks. 1989 beschreibt die Staatssicherheit in ihrem Bericht „Zur gegenwärtigen Lage zum Einsatz ausländischer Arbeitskräfte in der DDR“:
Staatliche Schuldentilgung mit Arbeitslöhnen
Der von den mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen einbehaltene Lohn, wird nicht, wie versprochen, nach Mosambik überwiesen. Stattdessen wird das Geld zum Abbau der Schulden des mosambikanischen Staates bei der DDR verwendet.
„Die Beträge wurden direkt im Betrieb vom Nettolohn abgezogen, an das DDR-Finanzministerium überwiesen und der KoKo (Bereich Kommerzielle Koordinierung) zur ‚Verrechnung‘ zur Verfügung gestellt (…) Die Praxis der Schuldentilgung – verrechnen statt transferieren – wurde den Vertragsarbeitern nicht mitgeteilt.“ (Döring 2019, 30)
Bis heute kämpfen zahlreiche ehemalige Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik um die Auszahlung ihrer transferierten Löhne.
Die Mauer ist gefallen
Ende 1989 leben circa 190.000 Migrant*innen in der DDR, davon 90.000 Vertragsarbeiter*innen, fast 60.000 kommen aus Vietnam. (Weiss 2005, 8)
Noch am 12. Oktober 1989 beschloss das Präsidium des Ministerrats der DDR die Einreise von 6.000 zusätzlichen Arbeiter*innen aus Mosambik zum Einsatz in den sozialistischen Betrieben der DDR. (vgl.Lubanda, o.J.)
Nach der Grenzöffnung ändert sich die Stimmung im Land rasant. Durch den Zusammenbruch des Wirtschaftssystems stehen Massenentlassungen an. Viele deutsche Kolleg*innen sehen die Migrant*innen nun als Konkurrent*innen um die Arbeitsplätze. „Es gab Streiks und Morddrohungen. Verbunden mit Unterschriftensammlungen wurden Forderungen nach sofortiger Entlassung der Arbeitskräfte gestellt, die erst wenige Wochen oder Monate zuvor ins Land geholt worden waren“, schreibt die damalige Ausländerbeauftragte Almuth Berger (Berger 2005, 69) In dieser Zeit nimmt die rassistische Gewalt drastisch zu. Schon bevor das sächsische Hoyerswerda 1991 in die internationalen Schlagzeilen gelangt, kommt es am 1. Mai 1990 zu einem organisierten Angriff auf das Wohnheim der mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen.
»Die haben gesagt, wir kommen wieder
Ein Jahr später eskaliert die Situation in Hoyerswerda erneut. Im September 1991 greifen Neonazis und Bürger*innen unter den Augen der Polizei eine Woche lang die Wohnheime von Vertragsarbeiter*innen und ein Wohnheim für Geflüchtete an. Die Verantwortlichen der Stadt und des Bundeslandes sehen sich nicht in der Lage, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Ein Großteil der Mosambikaner*innen wird daraufhin vorzeitig nach Mosambik zurückgeschickt, die Geflüchteten werden aus der Stadt evakuiert.
Arbeitslos und keine Wohnung
Die zwischenstaatlichen Vereinbarungen mit Angola, Mosambik und Vietnam werden noch von der letzten DDR-Regierung neu verhandelt. Als Ergebnis tritt am 13.06.1990 eine neue Verordnung über die Arbeitsrechtsverhältnisse für ausländische Arbeitskräfte in Kraft und ersetzt die Bestimmungen der einstigen Regierungsabkommen. Damit sind die Vertragsarbeiter*innen für die Betriebe kündbar. Der Verlust der Arbeitsplätze bedeutet nun zwar nicht mehr die automatische Ausweisung, aber die Arbeiter*innen müssen aus den betriebseigenen Wohnheimen ausziehen. Sie müssen sich ab sofort selbst um eine Wohnung und ihren Lebensunterhalt kümmern. Ohne gute Beziehungen in die deutsche Gesellschaft, ohne Unterstützung, sehen viele von ihnen keine Möglichkeit zu bleiben. Als besonderen Anreiz zur Ausreise werden allen Vertragsarbeiter*innen, die vor Ablauf ihrer Verträge das Land verlassen, 3.000 D-Mark Entschädigung angeboten. Die Betriebe organisieren den Rückflug. Um die Ausreise sicherzustellen, wird das Geld häufig erst im Transitbereich des Flughafens ausgezahlt. Der 1991 von Angelika Nguyen gedrehte Dokumentarfilm „Bruderland ist abgebrannt“ bezeugt eindrücklich die Lage vietnamesischer Migrant*innen.
»Ich wusste nicht, wovon ich leben sollte
Auch Nguyen Do Thinh wird von seinem Betrieb entlassen, doch er will nicht vorzeitig nach Vietnam zurückkehren.
Einige Zeit später gelingt es Nguyen Do Thinh eine befristete Anstellung als Berater und Übersetzer für die vietnamesischen Arbeiter*innen im Hafen Rostock zu erhalten. Er soll helfen, ihre Rückreise zu organisieren. Ab dem 1. Januar 1991 gilt das bundesdeutsche Ausländerrecht auch für das Gebiet der ehemaligen DDR. Die Vertragsarbeiter*innen erhalten nun eine sogenannte befristetete Aufenthaltsbewilligung. Das berechtigt sie zum Aufenthalt in Deutschland bis zum Ende ihrer ursprünglichen Arbeitsverträge. Eine Arbeitserlaubnis bekommen sie jedoch nur, wenn kein Deutscher oder Europäer für die Stelle gefunden wird. Für sie bleibt meist nur die Möglichkeit, sich mit kleinem Gewerbe irgendwie selbständig zu machen.
Erst 1997 erhalten die bis dahin noch in Deutschland verbliebenen ehemaligen Vertragsarbeiter*innen ein dauerhaftes Bleiberecht. Von dieser Regelung profitieren etwa 15.000 ehemalige Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam, Mosambik und Angola, die mittlerweile auf das gesamte Bundesgebiet verteilt leben. (siehe Berger 1998)
Studierende können in der Regel ihr Studium im vereinigten Deutschland zu Ende führen, müssen aber eine Finanzierung finden. Die meisten hatten als finanzielle Grundlage ein staatliches Stipendium in der DDR. Diese Stipendienverträge gelten nicht mehr. Staatliche Studierendenförderung wird ab dem 1. Januar 1991 nur noch über die BaföG-Regelungen und dessen Förderbedingungen für ausländische Studierende gewährt. Viele Stipendiat*innen aus der DDR erfüllen diese Kriterien nicht. (vgl Noa, o.J.)
Wege nach dem Ende der DDR
Die Protagonist*innen dieser Dokumentation gehen unterschiedliche Wege. Pham Thi Hoai kehrt 1983 nach Beendigung ihres Studiums nach Vietnam zurück. Seit 2000 lebt sie wieder in Berlin. Kadriye Karcı und Alemayehu Gebissa beenden ihr Studium und bleiben in Deutschland. Kadriye Karcı engagiert sich weiterhin politisch, Alemayehu Gebissa kann seine akademische Karriere in Rostock fortsetzen. Carlos Medina gründet eine eigene internationale Theatergruppe in Berlin. David Macou und Orquídea Chongo werden nach Mosambik zurückgeschickt. Sie kennen weder die Möglichkeit hierzubleiben noch die dazu notwendigen Voraussetzungen. David Macou gehört zu der letzten Gruppe von Mosambikanern in Hoyerswerda, die nach den pogromartigen Angriffen Hoyerswerda verlassen müssen. Nguyen Do Thinh überlebt die Brandanschläge auf das Sonnenblumenhaus 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Mai Phuong Kollath, Nguyen Do Thinh und Ibraimo Alberto heiraten ihre deutschen Partner*innen und qualifizieren sich erneut für Berufe, die sie dieses Mal selbst gewählt haben.